Das 1x1 der Kommunikation - Teil 2

Das 1x1 der Kommunikation - Teil 2

Das 1×1 der Kommunikation – Teil 2

Du besitzt vier Ohren und vier Zungen. Und mit ihnen kommunizierst du munter drauf los. Wer das behauptet? Friedemann Schulz von Thun. Eben jener, den wir aus „Das 1×1 der Kommunikation – Teil 1“ bereits kennen und der das Kommunikationsmodell von Shannon und Weaver so weiterentwickelt hat, dass wir nun von den „Vier Seiten einer Nachricht“ sprechen.

Vier Ohren.

Fangen wir mit deinen Ohren an. Friedemann sagt, du hast ein Sachohr, ein Appellohr, ein Beziehungsohr und ein Selbstoffenohr. Oder lass es mich anders ausdrücken: Dir stehen das Sachohr, das Appellohr, das Beziehungsohr und das Selbstoffenbarungsohr zur Verfügung. Denn du hast die freie Wahl, auf welchem Ohr du hören möchtest! Vorausgesetzt dir ist bewusst, dass du über unterschiedliche Ohren verfügst. Ansonsten hörst du unbewusst auf diesen Ohren.

Kommt dir das bekannt vor?

Es gibt Menschen, mit denen es sich nicht streiten lässt. Weil sie nicht auf das anspringen, was du sagst. Sie bleiben „neutral“. Andere Menschen gehen in die Luft wie das „HB-Männchen“ und sind für eine sachliche Auseinandersetzung nicht empfänglich. Und dann gibt es noch diejenigen, die sofort loslaufen, um etwas zu tun, obwohl du dies gar nicht beabsichtigt hattest. Du wolltest doch nur etwas erzählen. Die wenigsten Menschen sagen dir jedoch, wie es ihnen wirklich mit dem geht, was du ihnen gerade gesagt hast. Was sie empfinden, welchen Standpunkt sie dazu haben, was ihre ehrlichen Bedürfnisse und Wünsche diesbezüglich sind.

Kennst du deine Ohren?

Und wie steht es um dich? Kennst du dein Sachohr? Oder dein Selbstoffenbarungsohr? Und auch wenn du häufig auf deinem Beziehungsohr hörst, ist dir dies sicher bis jetzt nicht bewusst. Am besten geläufig dürfte dir dein Appellohr sein. Warum? Weil in unserer Gesellschaft immer noch verdeckt kommuniziert wird. Etwas zu „wollen“ ist verpönt. Wir haben zu „möchten“ und zu „wünschen“. Entsprechend pikiert wird von der Außenwelt aufgenommen, wenn wir unsere Absichten und Ziele klar formulieren. „Ich gehe heute Abend ins Kino. Hast du Lust mitzukommen?“ Statt: „Ich würde heute Abend gerne ins Kino gehen. Hättest du Lust mich zu begleiten?“ Gar kein so großer Unterschied? Hmm, und wenn die Antwort lautet: “Nein, in den Film auf keinen Fall!“ Was passiert dann bei dir? Und bei deinem Gegenüber? Und macht es ein Unterschied, ob es sich bei deinem Gegenüber um jemanden handelt, mit dem du in Partnerschaft lebst oder mit dem du befreundet bist?

Appellohren.

Sätze wie „Der Mülleimer ist voll!“, „Das Brot ist alle!“ und „Ich habe Hunger!“ sind Appelle. Können Appelle sein. Wenn wir sie mit Ausrufungszeichen auf dem Appellohr hören! Sie werden zu Sachaussagen, wenn wir das Sachohr nutzen: „Der Mülleimer ist voll.“, „Das Brot ist alle.“ und „Ich habe Hunger.“ Höre ich auf dem Sachohr, zieht die Nachricht nicht unweigerlich eine von mir erwartete Interaktion nach sich. Ja, der Mülleimer füllt sich im Laufe einer Woche ebenso, wie ein Brot irgendwann aufgegessen ist. Und Hunger zu haben, gehört zu den Grundbedürfnissen des Menschen. Kein Grund, mich in Bewegung zu setzen. Warum hören wir so gut auf dem Appellohr? Weil uns beigebracht wird, Wünsche und Erwartungen anderer zu erfüllen. Benennen wir hingegen eigene Wünsche und Bedürfnisse, fordern diese ein oder setzen sie um, gelten wir schnell als unhöflich, rücksichtslos und egoistisch. Entsprechend entwickelt sich unsere Sprache. Statt offen, ehrlich und klar heraus, kommunizieren wir „verdeckt“ und immer so, dass wir uns das Hintertürchen „Das hast du völlig falsch verstanden!“ offenlassen. Ähm, wie war das noch mit dem „Sinn einer Nachricht entsteht beim Empfänger“?! Wenn ich eine Bitte klar äußere: „Ich habe Hunger, kannst du das Kochen bitte übernehmen, ich würde gerne meine Arbeit zu Ende machen.“, benötigst du weder dein Appellohr noch deinen Spürsinn. Du kennst mein Begehr und kannst dich dazu positionieren: „Ja.“ oder „Nein. Passt mir auch gerade nicht gut…“ Gemeinsam können wir dann eine Lösung finden. Vermutlich wird der Pizzabote kurz darauf klingeln. Oder es gibt ein Scheibe belegtes Brot.

Beziehungsohren.

Wann ist die Wahrscheinlichkeit am höchsten, dass es Streit gibt? Genau, wenn das Beziehungsohr in Aktion tritt. Dann hört der Beziehungsohrbesitzer nämlich nicht auf den „Sachinhalt“ der Nachricht, sondern bewertet den Inhalt als Aussage über den Zustand der Beziehung und interpretiert jede Äußerung als Abwertung seiner Person. Beispiel gefällig? „Die Ampel wird gleich grün.“ Reaktion eines auf dem Beziehungsohr Hörenden: „Du musst nicht immer heraushängen lassen, dass ich in deinen Augen nicht gut Auto fahren kann. Ich weiß ja, dass du „the King of the road“ bist!“ „So habe ich das doch gar nicht gemeint. Ich habe lediglich gesehen, dass die Radfahrer schon grün bekommen haben…“ „Nee, ist klar. Du nutzt doch jede Gelegenheit, mir unter die Nase zu reiben, dass dich meine Fahrweise nervt! Du kannst es doch kaum ertragen, dass ich heute mal am Steuer sitze.“ „Wie kommst du denn darauf?!“ „Wenn ich schon sehe, wie du da auf dem Beifahrersitz sitzt! Fehlt nur noch, dass du dich wie mein Opa am Haltegriff festhältst! Und glaube ja nicht, dass ich nicht sehe, dass du jedes Mal mitbremst. Schlimmer als in der Fahrschule!“ Die Stimmung dürfte im Eimer sein. Die Beziehung auch. Denn wenn auf dem Beziehungsohr gehört wird, hat entweder der Beziehungsohr-Besitzer eine ziemliche Selbstwertproblematik und/oder in der Beziehung gibt es etliche ungelöste, unterschwellige Konflikte. „Musst du gerade sagen! Wer guckt mir denn bei allem, was ich mache, permanent über die Schulter und weiß es immer besser?! Und im Übrigen sagst du doch nie Bescheid, wenn es bei dir später wird.“ Du stutzt. Zurecht. Was hat das denn jetzt mit der grünen Ampel zu tun?! Nichts. Denn darum geht es ja auch nicht. Es geht um die Beziehungsebene. Doch nicht offen und ehrlich, sondern verdeckt.

Und während es zwischen zweien, die auf dem Beziehungsohr hören, hoch hergeht, klebt bei Auseinandersetzungen zwischen einer Person, die auf dem Sachohr hört und einer Person, die das Beziehungsohr nutzt, nur letztere unter der Decke, während der Sachohr-Nutzer überhaupt nicht versteht, warum der Beziehungsohr-Nutzer dermaßen abgeht. Wie gesagt, der Mülleimer ist voll. Ja, und?! Kommt vor. Ist normal. Warum so ein Aufriss?! Dann muss der eben rausgebracht werden. Von wem? Dem es gerade auffällt? Genau. Genau das ist das Thema desjenigen, der auf dem Beziehungsohr hört. Sachohr-Nutzer sind oft männlicher Natur, Beziehungsohr-Nutzer eher weiblich.

Sachohr-Appellohr-Beziehungsohr.

Nutze ich das Sachohr, lege ich den Fokus auf die Sache als solche. Der Rasen ist grün und zehn Zentimeter hoch. Darin impliziert ist keineswegs, dass der Rasen ab 5 Zentimeter Länge gemäht werden sollte, oder wessen (verdeckte) Aufgabe dies ist. Der Rasen ist grün und zehn Zentimeter hoch. Nicht mehr und nicht weniger. Das Appellohr hört die Aufforderung: Der Rasen ist zehn Zentimeter hoch! Denn das Appellohr „weiß“, dass der Rasen nur 5 Zentimeter hoch sein soll. Es ist also höchste Zeit, den Rasenmäher anzuwerfen. Das Beziehungsohr hört den vermeintlich versteckten Vorwurf: Der Rasen ist grün und (leider/schon wieder) 10 Zentimeter hoch. Und das ist deine Schuld! Denn ich bin dir nicht wichtig. Unsere Beziehung ist dir nicht so wichtig, als dass du mir diese Freude machen oder diese Aufgabe erledigen könntest.

Selbstoffenbarungsohren.

Mit dem Selbstoffenbarungsohr höre ich darauf, was mein Gegenüber verbal nicht zum Ausdruck bringt bzw. nicht bringen kann. Und befinde mich im „Land der Empathie und Hypothesen“. Höre das, was ich nicht sage. Lies mir meine Wünsche von den Augen ab. Du musst doch wissen oder fühlen, was ich mir wünsche. Ein Land, in dem sich Frauen gerne aufhalten, in dem sich Männer jedoch in der Regel überfordert fühlen. Das Selbstoffenbarungsohr ist also der Spezialist für die Befindlichkeiten des Gegenübers. Es entnimmt den Äußerungen des Gesprächspartners dessen derzeitige Stimmung, seine Bedürfnisse und Wünsche, ohne dass dieser sie konkret äußert. Im Gegenteil. Es sind eher gereizte oder traurige Szenen, auf die das Selbstoffenbarungsohr reagiert. Im Sinne des „Verbalisierens emotionaler Erlebnisinhalte“. Stellen wir uns die folgende Situation vor: Am Ende eines normalen Arbeitstages sind wir bereits zuhause und hören, wie unser Partner die Tür öffnet. Wir hören ihn bereits im Eingangsbereich grummeln und statt eines „Hallo Schatz“ gibt es direkt einen „Einlauf“ wegen eines „unentschuldbaren Versäumnisses“. Rattert es in deinem Kopf? Wie würdest du reagieren, wenn du auf dem Sachohr hören würdest? Du bleibst ruhig, dein Partner schäumt weiter und weiter. Der Abend ist gelaufen. Und auf dem Appellohr? Ich sehe dich laufen und die Sache in Ordnung bringen. Dein Partner wähnt sich im Recht und schäumt weiter, weil dein Versäumnis ja dazu geführt hat, dass er sich so aufregen muss und sein Abend nun verdorben ist. Und wenn du auf dem Beziehungsohr hörst? Dann geht es richtig rund. Ihr sagt Euch mal wieder richtig die Meinung. Doch was passiert nun, wenn dein Selbstoffenbarungsohr zum Zuge kommt? Dein Selbstoffenbarungsohr weiß das Verhalten deines Partners einzuordnen und fragt sich, was er jetzt braucht, damit es ihm besser geht. Statt sich angegriffen zu fühlen, sich zu rechtfertigen, Schuld zurückzuweisen, benennt es die Vermutung: „Ups, du scheinst einen nervigen/unangenehmen/anstrengenden Tag gehabt zu haben.“ Oder: „Welchen Ärger hattest du denn heute?“ oder „Dein Tag scheint heute kein guter gewesen zu sein.“ Und dann macht das Selbstoffenbarungsohr ein Angebot: „Möchtest Du auch einen Tee, Kaffee, Saft?“ „Lass uns mal eine Runde um den Block gehen und dann erzählst du mir, was dich so gestresst hast.“ Oder: „Willst du erstmal deine Ruhe haben, um runter zu kommen? Ich mache derweil das Abendbrot.“ Dank des Selbstoffenbarungsohrs kann dieser Abend in ein sehr intensives Gespräch münden und unerwartete Nähe zwischen den Partner bringen.

Vier Zungen.

Sprechen wir über deine „vier Zungen“. Wie bei den Ohren hast du die Wahl zwischen der Zunge, die die Sachebene nutzt, der, die die Appellebene gebraucht, der Zunge, die die Beziehungsebene wählt und der, die sich selbstoffenbart. Die Sachebene nutzt du, wenn es „um die Sache geht“. Zum Beispiel, wenn du eine Zeugenaussage machst oder dein Chef eine Entscheidung fällen will und du ihm die Vor- und Nachteile einer Sache aufzeigen sollst. Du beschreibst Fakten. Höre ich dich sagen: „Mir ist soo kalt!“ bist du auf der Appellebene unterwegs. Was wir hier am Ausrufungszeichen sehen und beim Sprechen an deiner Sprachmelodie hören. „Mir ist kalt.“, wäre hingegen Sachebene. Also bei „Mir ist soo kalt!“ willst du, dass ich etwas tue, ohne dass du mir deinen Wunsch konkret benennst. „Soll ich dir eine Decke holen? Oder möchtest du, dass wir ins Haus gehen? Kann ich dir einen Tee anbieten?“ All dies wären Reaktionen, die du von mir erwarten würdest. „Mir ist kalt!“ Jetzt nutzt du deine Beziehungszunge. Das sehe und höre ich an dem Ausrufungszeichen. Und wer ist daran schuld. Da brauchen wir gar nicht dreimal zu raten. Natürlich ich. Ich habe (wieder mal) nicht gut genug für dich gesorgt. Und überhaupt ist mir unsere Beziehung egal. Und selbstoffenbarend? Mit dieser Zunge sagst du: „Schatzi, sorry, mir ist (soo) kalt, ich bräuchte eine Decke und einen heißen Tee, wenn wir noch länger draußen bleiben wollen. Ansonsten würde ich gerne ins Haus gehen.“ (Ansonsten gehe ich ins Haus, wäre korrekter, nehmen wir in unserem Sprachgebrauch jedoch leicht als „Erpressung“ wahr. Deshalb „spülen“ wir mit „würde“ lieber etwas „weich“.) Das Leben kann so einfach sein. „Schatzi“ ist erleichtert, denn er oder sie weiß nun Bescheid, was du benötigst, damit es dir gut geht. Es geht lediglich darum, die aktuelle Situation zu gestalten. Es geht nicht darum, auf Zwischentöne zu achten, sich einfühlen zu müssen oder plötzlich mit schwelenden Konflikten konfrontiert zu werden.

Und Friedemann Schulz von Thun?

Der freut sich, wenn das von ihm entwickelte Kommunikationsquadrat auch von dir genutzt wird. Wobei der Sinn seiner Nachricht darin liegt, dass du, so oft es möglich ist, auf deinem Selbstoffenbarungsohr hörst und mit der Zunge der Selbstoffenbarung redest. Dann nämlich wird dein Leben und das deiner Mitmenschen unendlich einfacher und glücklicher.

Mit freundlicher Erlaubnis von „Schulz von Thun – Institut für Kommunikation“, Hamburg.

Martina Kompakt

  • Uns stehen vier Ohren zur Verfügung: Das Sachohr, das Appellohr, das Beziehungsohr und das Selbstoffenbarungsohr.
  • Beim Sachohr liegt der Fokus auf der sachlichen Information, die eine Nachricht enthält.
  • Das Appellohr hört die verdeckte Aufforderung, die in der Nachricht liegt oder liegen könnte.
  • Mit dem Beziehungsohr werden verdeckte Aussagen über ungeklärten und schwelenden Themen und Konflikte in der Beziehung in der Nachricht gehört.
  • Das Selbstoffenbarungsohr hört das, was der Gesprächspartner über sich und seine Situation nicht auszusprechen vermag.
  • Uns stehen vier Zungen zur Verfügung: Die Sachzunge, die Appellzunge, die Beziehungszunge und die Selbstoffenbarungszunge.
  • Die Sachzunge vermittelt Fakten.
  • Mit der Appellzunge wird eine Bitte, ein Wunsch, eine Erwartung nicht offen formuliert, sondern in einer Nachricht verdeckt verfasst, mit dem Ziel, der Gesprächspartner „versteht“, was gemeint ist und reagiert entsprechend.
  • Über die Beziehungszunge wird jede Gelegenheit genutzt, dem Gegenüber verdeckt zu sagen, wie unzufrieden man mit ihm und der Situation ist. Und wer die Verantwortung dafür trägt.
  • Bei der Selbstoffenbarungszunge beginnen die Sätze mit „Ich“ und sie bringt offen und ehrlich zum Ausdruck, was ihr Nutzer empfindet und möchte.
  • Wann immer es dir möglich ist, höre auf deinem Selbstoffenbarungsohr und nutze die Zunge der Selbstoffenbarung. Dein Leben und das deiner Mitmenschen wird unendlich einfacher.

Literatur

  • Friedemann Schulz von Thun: „Miteinander reden 1“, rororo

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